Das Verhältnis von katholischer Theologie und Moderne ist über weite Strecken eine Konfliktgeschichte. Bis ins 20. Jahrhundert bezog sich katholische Theologie vorwiegend kritisch sowohl auf die Geistesgeschichte der Moderne als auch auf einzelne ihrer Ausprägungsgestalten in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Als epochaler Wendepunkt dieser Konfliktgeschichte gilt das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965), das oft als Ereignis der „nachholenden Selbstmodernisierung“ des Katholizismus angesehen wird.

Gleichwohl ist die gegenwärtige katholische Theologie durch einen permanenten Streit der Interpretationen um das Konzil geprägt. Diese lassen sich als Reflex einer unabgeschlossenen Konfliktgeschichte der katholischen Theologie mit der Moderne verstehen. Dafür sprechen die zum Teil hart geführten Auseinandersetzungen um die theologische Deutung konkreter Erscheinungsformen der fortgeschrittenen Moderne (Säkularisierung, Pluralisierung, Individualisierung) sowie um die theologische Adaption der modernen Geistes- und Sozialwissenschaften und der neuzeitlichen Philosophie.

Wissenssoziologisch lassen sich die andauernden Modernitätskonflikte der katholischen Theologie als Identitätskonflikte beschreiben. So bedeutet eine konstruktive Verhältnis-bestimmung zur Moderne oft, dass überkommene theologische Identitätsbestimmungen in Theorie und Praxis brüchig oder gar hinfällig werden. Die Frage, ob das katholische Christentum dadurch in seinem Kern gefährdet ist, steht im Hintergrund vieler Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen katholischen Theologie. Diese steht damit als Ganze vor der Herausforderung, Modernisierungsprozesse immer auch als gelungene Selbstvergewisserungen über die Identität des Christlichen ausweisen zu müssen.

Der Forschungsschwerpunkt „Christliche Identität in der Moderne“ nähert sich dieser Herausforderung mit einem doppelten Fokus. Zum einen sollen die Modernisierungskonflikte in der katholischen Theologie theoretisch und historisch-hermeneutisch erschlossen werden. Zum anderen sollen auf neuralgischen Feldern der systematischen Theologie und der theologischen Ethik konkrete Identitätsbestimmungen ausgelotet werden, die unter den Bedingungen der Moderne tragfähig sind.

Im ersten Fokus stehen zunächst Fragen, die die philosophische und sozialwissenschaftliche Beschreibung und Deutung der Moderne betreffen. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, wie entsprechende Theorienangebote die Ambivalenz der Moderne selbst thematisieren. Von besonderer Bedeutung für die Theologie ist zudem die Frage, ob und in welchem Umfang Theorien der Moderne überhaupt einen Ort für Religion und Christentum in der Moderne kennen. Die abklingende Dominanz von Modernisierungstheorien, die das vollständige Verschwinden von Religion in der Moderne implizieren, stellt dabei eine neue Chance für die Selbstreflexion der Theologie in moderne-theoretischen Kategorien dar. (Feld „Theorie der Moderne")

Vor diesem Hintergrund kann das spannungsreiche Verhältnis von Christentum und Moderne historisch-hermeneutisch erschlossen werden. Dies betrifft sowohl die Frage nach möglichen Impulsen des Christentums am Ursprung der Moderne (Christentum und Aufklärung; Achsenzeitdebatte), als auch die Frage, ob und inwiefern sich insbesondere die katholische Theologie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert konstruktiv auf die Moderne bezogen hat und wo sie es aus welchen Gründen nicht getan hat. Dabei sind die Umbruchprozesse in der Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Modernismuskrise, theologische Aufbrüche in der Zwischenkriegszeit und im Vorfeld des Zweiten Vatikanums) von besonderem Interesse. Hier liegt ein weites noch lückenhaftes Forschungsfeld, dem für die Selbstvergewisserung katholischer Theologie in der Gegenwart eine hohe Bedeutung zukommt. (Feld „Geistes- und Theologiegeschichte")

Im zweiten Fokus stehen Probleme der systematischen Theologie und Ethik, die für eine tragfähige Identität des katholischen Christentums unter den Bedingungen der Moderne von zentraler Bedeutung sind. Dazu zählen wissenschaftstheoretische Grundlagenfragen, die einen mit den modernen Wissenschaften kompatiblen Zugang zum Proprium des Christentums legen (Theologie der Offenbarung, Grundfragen der Begründung christlicher Moral).

Hinzu kommen konkrete Einzelfragen, bei denen es in besonderer Weise darauf ankommt, Synthesen auszuarbeiten, die fundamentale moderne Einsichten wie die Kontingenz geschichtlichen Wandels oder die Anerkennung menschlicher Autonomie konstruktiv aufgreifen. Dies betrifft in der systematischen Theologie z.B. Fragen der Religionsfreiheit, der Traditionskritik und der strukturellen Ekklesiologie, in der Theologischen Ethik z. B. Normbegründungsfragen sowie die Bedeutung von Autorität und sensus fidelium. Auch die theologische Ethik steht vor der Aufgabe, den säkularen, interkulturellen und interreligiösen Kommunikationskontext, in dem sich eine christliche Ethik vorfindet, aufzunehmen und mit dem religiös fundierten Ethos in einen kritischen Dialog zu bringen. (Feld „Systematische Theologie und Ethik“).